Liebes Brautpaar,
warum sagt ihr mir eigentlich nicht, dass ihr euch nächsten Sonntag gar nicht trauen lassen wollt? Ich als Pastorin sollte doch die Erste sein, die von der Terminverschiebung erfährt. Finde ich.
Liebes andere Brautpaar, die ihr auch gleichzeitig Taufeltern seid,
warum sagt ihr mir eigentlich nicht, ob eure Trauung am kommenden Freitag auch tatsächlich stattfinden soll, und die Taufe eurer Kinder am kommenden Sonntag? Ich als Pastorin sollte doch die erste sein, mit der alles abgesprochen wird. Finde ich. Und euch kann ich nichtmal erreichen, weil ich keine Telefonnummer habe und die E-Mails, die ich an euch schicke, immer wieder zurückkommen mit der Bemerkung euer E-Mail Postfach sei voll.
Mich ärgern diese möglicherweise oder auch nicht anstehenden Amtshandlungen tierisch! Weil ich viele Termine habe in der kommenden Woche und gut planen muss! Was ich gerade nicht kann, weil über drei von vier Amtshandlungen ein großes Fragezeichen hängt. Dass die eine Trauung nicht stattfindet, weiß ich ja seit vorhin.
Ich will mich aber nicht ärgern. Ich will gelassen sein. Außerdem soll ich als Christenmensch doch vergeben und Gnade walten lassen. So wie Jesus. Ich predige ja immer, dass wir uns ständig fragen sollen, was Jesus in so einer Situation (oder einer anderen) getan hätte, um einen Leitfaden für christliches Verhalten zu haben.
Was hätte Jesus also getan? Telefoniert ganz bestimmt nicht. Und E-Mails geschrieben hätte er garantiert auch nicht, denn das war damals alles noch gar nicht möglich. Aber ich frage mich schon, ob er gewissermaßen die andere Wange hingehalten hätte, oder ob er so sauer gewesen wäre dass er Tische umgeschmissen hätte. Hätte er sich den Menschen wohlwollend zugewandt, die ihn so sehr mit Missachtung und Ignoranz strafen? Oder hätte er sie vor Wut durchs Telefon gezogen? Wobei er bei der einen Familie damit ein echtes Problem gehabt hätte, da es ja keine Telefonnummer gibt. Via E-Mail langmachen hätte auch nicht geklappt, da die E-Mails ja immer zurückkommen.
Ich kann mir aber gut vorstellen, dass seine Jünger trotz aller Probleme mit den modernen Mitteln der Kommunikation einen Weg gefunden hätten, die trau- und taufwilligen Leutchen anzupampen und ihnen beizupulen, dass so ein Verhalten voll daneben ist. Jesus hätte dann anschließend als großer Verzeiher auftreten können, der sagt: Lasset die Kalender-Legastheniker zu mir kommen, denn ihrer ist die Trauung auf Helgoland im nächsten Jahr. Oder: Kommt her zu mir alle, die ihr vergesslich und leicht überfordert seid, ich will euch Zeitmanagement beibringen.
Aber bin ich Jesus? Wächst mir Gras aus der Tasche? Nein. Ich bin immer noch ein ziemlich genervtes Menschlein, das keinen Bock hat, ignoriert und missachtet zu werden. Ich bin immer noch ein ziemlich genervtes Menschlein, das übrigens selbst sehr gut vergessen kann, Termine abzusagen. Und dann hätte Jesus mal wieder Gelegenheit den großen Verzeiher raushängen zu lassen und zu sagen:
Hat dich niemand verdammt? (...) So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr.
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